LAURENT METTRAUX

 

Route Principale 160, CH-1791 Courtaman (Schweiz)

Tél. + fax : (+41) 26/684.18.65, E-mail : laurent.mettraux(at)bluewin.ch

 

 

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Le Nom caché (Der verborgene Name)

 

Oratorium

 

Text und Musik von Laurent Mettraux

 

 

Vorstellung und Audioaufnahme

 

Französischer Originaltext

 

CD - Aufnahme

 

 

 

I. Chor (Gregor von Nazianz)

 

O Du, der Du über allem bist

– wie sollte ich Dich anders nennen? –

 

Welche Hymne kann Dich loben?

Kein Wort kann Dein Wesen ausdrücken.

 

Welcher Geist kann Dich fassen?

Kein Wissen begreift Dich.

 

Einzig, bist Du unabbildbar;

Alles Gesagte ist von Dir ausgegangen.

 

Einzig, bist Du unbegreiflich;

Alles Denkende ist von Dir ausgegangen.

 

Alles Seiende preist Dich,

Die, die sprechen können wie die Stummen.

 

Alles Seiende huldigt Dir,

Die denkenden Wesen wie die, die nicht denken.

 

Die allumfassende Sehnsucht, das Stöhnen aller Wesen

Strebt zu Dir.

 

Alles, was ist, betet zu Dir,

Und zu Dir lässt jedes Wesen, das Dein Universum lesen kann,

eine Hymne der Stille aufsteigen.

 

Alles, was verweilt, verweilt in Dir.

Du bist Anfang und Ende allen Seins.

 

Du bist einzig.

 

Du bist jeder und Du bist niemand.

Du bist nicht ein einzelnes Wesen, Du bist nicht das Ganze.           

 

Du besitzt alle Namen,

Wie sollte ich Dich nennen,

Dich, den Einzigen, den man nicht benennen kann?

 

Hab’ Mitleid, o Du, der Du über allem bist!

– wie sollte ich Dich anders nennen? –

 

 

II. Alto solo (Rainer Maria Rilke, Auszüge aus dem Gedicht „Schutzengel“ aus dem Buch der Bilder)

 

Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen,

wenn ich erwachte in der Nacht und rief.

Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen

ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief.

 

Wie nenn ich dich?

Sieh, meine Lippen lahmen.

 

Du bist der Anfang, der sich groß ergießt.

Du: der von Wundern redet wie vom Wissen

und von den Menschen wie von Melodien.

Du bist der Schatten, drin ich still entschlief,

und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen.

 

Wie nenn ich dich?

Sieh, meine Lippen lahmen.

Befiehlst du, daß ich frage?

 

 

III. Chor (z. T. nach einem Inkahymnus an Viracocha)

 

O Macht des Erschaffenen!

Seist du männlich,

Seist du weiblich,

O Meister des Lebens,

wer immer du sein magst,

Herr des entstehenden Lichts,

Wo bist Du?

Du magst in der Höhe sein,

Du magst in der Tiefe sein,

Oder vielleicht ringsumher,

Mit deinem herrlichen Thron und deinem Zepter!

 

Höre mich!

Vom unendlichen Himmel,

Wo Du vielleicht weilst,

Schöpfer der Welt,

Erschaffer aller Menschen,

Herrscher aller Herrscher,

Richte doch Deinen Blick auf mich!

 

Meine Augen versagen mir

Wegen der Sehnsucht, Dich zu sehen,

Einzig wegen der Sehnsucht, Dich zu erkennen.

 

Könnte ich dich doch bewundern,

Könnte ich dich doch kennen,

Könnte ich dich doch betrachten,

Könnte ich dich doch verstehen.

 

Wer bist du?

Wo bist du?

Was denkst du?

 

Sprich!

Antworte mir!

 

 

IV. Alto solo (nach Ibn ul-Arabi und Angelus Silesius)

 

Niemand versteht Ihn, außer Er selbst.

Niemand kennt Ihn, außer Er selbst...

Er kennt sich durch Sich selbst...

Ein von Ihm Verschiedener kann Ihn nicht verstehen.

Sein undurchdringlicher Schleier ist Seine Existenz selbst.

 

Und zu Seinem Schleier aus Licht führt kein Weg hin.

Wer nicht selbst Licht wird, wird Ihn niemals in aller Ewigkeit erblicken können.

 

 

V. Bass solo (nach einem Gebet von Guillaume de St-Thierry, einem Hymnus an Thot von Amenemone und zwei Fragmenten, aus einem anonymen ägyptischen Text und von Synesios)

 

Herr,

Mein Herz ist voller Sehnsucht nach Dir.

Ich suche Dein Antlitz

Ich suche Dein Gesicht,

mit Deiner Hilfe.

Wende Dich nicht von mir ab.

 

Herr, ich verweile vor Dir

Wie ein Armer,

Wie ein Bettler,

Wie ein Blinder:

Während Du mich siehst,

kann ich Dich nicht sehen.                      

 

O Du, der Du das Wasser aus entfernten Brunnen herbeibringst,

Komm und erfrische mich.

O Quelle der Sanftheit,

Komm zum Menschen, der dürstet in der Wüste,

Du, der Du verborgen bist für den, der sprechen kann

Und offenbar für den, der schweigt.

Es komme, der singt

Für Dich eine Hymne aus Schweigen,

Und er finde den Brunnen;

Es komme, der fiebert, und Du bist unerreichbar.

 

Siehe Deinen Bittsteller, der sich zu erheben versucht:

Erleuchte mich,

Breite meine Flügel aus,

Befreie mich von meinen Fesseln.

Könnte ich doch meinem Leib entfliehen

Und aufsteigen zu Dir, der du die Quelle meiner Seele bist.

Führe mich zurück zur Quelle, von der ich stamme.

Gewähre mir, dass ich in Deinem Licht vergehe.

 

 

VI. Soli und Chor (altägyptischer Hymnus und Angelus Silesius)

 

Einzig ist der Höchste

Der sich vor den Göttern und den Menschen verhüllt,

entfernt vom Himmel

Abwesend von den Unterwelten.

                                                                      

Was man über Ihn aussagt                                               Den Abschnitt hören (Ende Teil VI) : hier klicken

Ist eher Unwahrheit als Wahrheit,                                            

Denn man kann Ihn sich nur vorstellen

Nach den Bildern des Geschaffenen.

 

Niemand kennt Seine wahre Gestalt,

Falsch sind die Darstellungen

Die man sich von Ihm machen kann.

 

Gott ist ein lauter Nichts

Ihn rührt kein Nun noch Hier

Je mehr du nach Ihm greifst

Je mehr entwird Er dir.

 

Er ist zu geheimnisvoll, als daß Seine Hoheit enthüllt werden könnte,

zu groß, um erforscht,

zu stark, um erkannt zu werden...

 

Man kann Ihn mit allen Namen nennen;

Man kann Ihm wiederum nicht einen zuerkennen.

 

Aber Sein wahrer Name ist unaussprechlich

Und wer ihn ausspräche, würde vernichtet.

 

 

VII. Chor (Hymne von Proklos)

 

Wie Dich feiern,

O Du, der Du über allem bist?

Mit welchem Wort, unter welchem Namen?

Unbenennbarer, Unbenannter;

Und doch kommen von Dir

Die Worte, die wir gebildet haben.

Unerkennbarer, Unerkannter;

Alles, was wir denken, ist doch Dein.

Alles entstammt Dir,

Aber Du, Du wirst nicht, Du bist...

Du bleibst unbewegt,

Geborgen durch Deine Klarheit.

 

Du bist das Zentrum und der Anfang,

Du bist das Ende und das Ziel,

Du bist der Eine, und doch verschieden,

Und weder verschieden noch eins.

Wie also sollte man Dich nennen,

Du, der Du das einzige Wesen bist,

Von dem man nicht sprechen kann.

Welches Wissen könnte Dich erreichen,

Jenseits aller Bedingtheit,

Du, den man nicht benennen kann,

Noch eingrenzen, ohne sich zu vergehen.

 

 

VIII. Sopran solo (Angelus Silesius)

 

Wer Gott ist, weiss man nicht.

Er ist nicht Licht, nicht Geist,

Nicht Wonnigkeit, nicht Eins,

Nicht was man Gottheit heisst,

Nicht Weisheit, nicht Verstand,

Nicht Liebe, Wille, Güte.

Kein Ding, kein Unding auch,

kein Wesen, kein Gemüte,

Er ist was ich und du und keine Kreatur,                      Den Abschnitt hören (Ende Teil VIII und Teil IX) : hier klicken

Eh wir geworden sind was Er ist, nie erfuhr.

 

 

IX. Tenor solo (z. T. nachmystischen Gedichten von Tukaram)

 

Wie könnte man Dein Geheimnisverstehen,

Du, der Du ohne Begrenzung bist?

Wie könnte man Dein Gesicht bewundern,

Du, der Du ohne Beschränkung bist?

Verwandle Dich, so daß ich Dich sehen kann,

In Deiner ganzen Herrlichkeit und Pracht.

 

– Diesseits der siebenstufigen Unterwelt erstreckst Du Dich,

Jenseits des unermesslichen Himmels:

Meine Mückenaugen, könnten sie Dich betrachten? –

 

Für mein höchstes Verlangen, zeige Dich doch

In den Zügen eines schönen, verletzlichen Kindes.

Du wirst die Gestalt annehmen, die die Deinen erhoffen, ich weiß es.

 

Tag und Nacht wache ich, mit entzündeter Lampe.

Wie ein Bettler vor dem Tor halte ich mich aufrecht und flehe Dich an.

Wie ein Fisch an Land ersticke ich.

Wie ein Kind, das sich im Wald verirrte, suche ich Dich weinend.

Deine Abwesenheit, o mein Gott, hat das Land in eine Wüste verwandelt!

Lass’ mich nicht umsonst nach Dir rufen: ich habe keinerlei Verdienst,

Ich besitze nichts, ich fordere nichts, ich bitte nur um eine unverdiente Gabe.

 

Haben etwa meine Vergehen Deinen Zorn geweckt?

O Herr des Schicksals,

Lass’ nicht das erdrückende Gewicht meiner Fehler auf mich zurückfallen:

Meine zahllosen Versäumnisse, ich lege sie in Deine liebenden Hände.

 

Meine Seele liegt auf dem verlassenen Weg, mein Herz entbrennt vor Ungeduld...

 

Wo verbirgst Du Dich?

Wen tröstest Du in seinem Leiden?

Wäre dies die Länge des Weges

Die Dein Kommen verzögert?

 

Wo verbirgst Du Dich?

Wem bist Du zu Hilfe geeilt?

Schläfst Du, mein Gott?

 

Warum behältst Du Deine steinerne Verhüllung bei?

Was ist los mit Dir in Deinem Himmel?

Wärst Du etwa tot?

Ich bin ein Waisenkind ohne Hoffnung!

 

Niemand, der mich beschützt, keine Zuflucht.

Die Welt macht mich Zittern,

Die Welt verfolgt mich...

Weigerst Du Dich, mich zu retten?

 

Warum machst Du mich so bedauernswert,

Verachteter als einen Bettler?

Warum versagt Deine Hand bei mir?

 

Mein Herz errötet vor Scham, sich Deinen Verehrer zu nennen!

Ach, bitterer Geschmack dieser Worte in meinem Mund!

Die alten Weisen schämten sich wegen Dir:

Ich wollte ihnen nicht glauben;

Nun weiß ich, daß sie recht hatten.

 

Jetzt kenne ich Deine wahre Natur:

Wie konnte ich mich blind machen vor Deinem Wesen!

Ohne Liebe, ohne Mitleid,

kleinlich, zynisch, so bist Du!

 

Du zerfleischst Deine eigenen Kinder,

Du läßt sie leiden zu Deinem eigenen Vergnügen!

Du läßt Dir Gewalt und Unrecht gefallen,

Du scheust Dich nicht, den Unschuldigen zu strafen!

 

Du läßt uns auf Deine Güte hoffen

Um uns besser täuschen und brechen zu können!

 

Deine Schöpfung ist ein Versuchsfeld

Um Deine Geschöpfe zu foltern und zu martern!

 

 

X. Chor (Ausschnitt aus einem Hymnus von Ibn ul-Arabi)

 

Geliebter,

So viele Male habe Ich dich gerufen

Du hast Mich nicht gehört!

So viele Male habe Ich Mich dir gezeigt,

Du hast Mich nicht gesehen!

So viele Male habe ich Mich sanft verströmt,

Du hast es nicht gespürt!

So viele Male habe ich Mich in köstliche Speise verwandelt,

Du hast nicht davon gekostet!

 

Weshalb kannst Du Mich nicht ertasten

Durch alle die Dinge hindurch, die Du mit Händen greifst?

Weshalb kannst Du mich nicht einatmen durch alle Gerüche hindurch?

 

Warum siehst du Mich nicht?

Warum hörst du Mich nicht?                   Den Abschnitt hören (Ende Teil X und Teil XI) : hier klicken

Warum? Warum? Warum?

 

 

XI. Sopran solo (nach mystischen Gedichten von Halladsch)

 

Welches Land wäre leer von Dir

Daß man sich aufmacht, Dich im Himmel zu suchen?

Du siehst die, die Dich anschauen,

Aber blind wie sie sind, nehmen sie Dich nicht wahr.

 

Mit dem Auge des Wissens wies mein Blick

Auf das reine Geheimnis meiner Versenkung.

Ein unfaßbares Leuchten erschien in meinem Bewußtsein.

 

Ich teilte das aufgewühlte Meer meines Denkens

Und durchquerte es wie ein Pfeil;

Mein Herz flog mit den Federn meiner Erinnerung davon

Dem entgegen, auf den ich seither, fragt man mich nach Ihm,

mit einem Zeichen weise, aber benennen werde ich ihn nicht.

 

Mit diesem Verstehen, eingraviert in mein Herz,

Verließ mich die Erscheinung meines Egos

So sehr, daß ich meinen Namen vergaß...

 

 

XII. Soli und Chor (Pushpadanta zugeschrieben: an Shiva)

 

Das Beschränkte wüßte nicht, das Unbeschränkte zu auszudrücken,

Selbst das heilige Wort

Das den Schein Deiner vielen Gestalten zerstört hat

Benennt Dich mit Schaudern

Und entstellt Dich, wenn es sich Dir nähert.

 

Wer kann Dich besingen?

Wer kann um den Überfluß Deiner Natur wissen?

Wer kann den Ort Deiner Anwesenheit beschreiten ?

Niemand.

 

Wessen Denken,

Wessen Reden

Versänke nicht im Irrtum?

 

"Was ist Sein Wille?

Wessen ist Er mächtig?

Hat Er eine Gestalt?

Aus welchem Urstoff läßt der Schöpfer die Welt hervorgehen?

Und zu welchem Zweck?"

 

Welch schwankende und zwecklose Nachforschung

Über Deine unergründliche Macht!

Menschen von auseinandergefallenem Geist erregen sich

Und nähren ihre Illusion immer wieder neu.

 

Gnostik, Agnostizismus,

Monotheismus, Polytheismus,

Atheismus, Pantheismus,

So viele Wege, die sich Dir zu nähern versuchen...

Man hält einen für ideal,

Den anderen für besser.

 

Je nach ihren Voraussetzungen,

Nach ihren Interessen oder Befürchtungen

Bevorzugen die Menschen

Gewundene oder gerade Wege.

 

 

XIII. Sopran solo (mystisches Gedicht von Halladsch)

 

Du bist es, der allein für mich von Belang ist.

Deine Erwähnung fesselt mich nicht:

Sie ist nichts als Einbildung und Mutmaßung

Die Dich vor den Blicken jener verbirgt

Die ihre Wahrnehmungen unter Geschwätz begraben.

 

 

XIV. Soli und Chor (Pushpadanta zugeschrieben: an Shiva)

 

Die Worte verhüllen Deine Natur.

Du bist die Sonne, Du bist der Mond, Du bist der Wind,

Du bist das Feuer,

Du bist die Wasser, Du bist der Himmel, Du bist die Erde,

Du bist die Seele der Welt...

Hier unten wissen wir nicht, Was Du bist,

Aber wir wissen,

Daß Du Dies bist.

 

Du bist,

O Segensspender

Zugleich das Eine und das Viele!

 

In Dir grüße ich das Ganz-Nahe,             Den Abschnitt hören (Ende Teil XIV und Teil XV) : hier klicken

Du, der Du die Allgegenwart bist,

Und ich grüße das Weit-Entfernte!

 

In Dir grüße ich das Winzigste

Du, der Du die Allmacht bist,

Und ich grüße das Unermeßliche!

 

In Dir grüße ich das Uralte,

Du, der Du die Allwissenheit bist,

Und ich grüße das Sehr-Junge!

 

In Dir grüße ich das Alles!

Und Dich, der Du über allem bist,

Ich grüße Dich!

 

 

XV. Soli und Chor (aus dem Tao te king von Lao-tse)

 

Den Gott, den man sich vorstellen kann

Ist nicht das ewige Sein.

Den Namen, den man ihm gibt

Ist nicht der unwandelbare Name.

 

Ohne Namen

Ist der Ursprung des Himmels und der Erde.

Namenbesitzen

Die Vielheiten der Wesen.

 

Die Leere des Seins

Meditiert die Wurzel aller Dinge.

Das Sein

Erwägt seine Erscheinungen.

 

Beide sind eins,

Nur durch ihre Namen unterschieden.

 

Eines, das unergründlich ist,

Ist das Geheimnis der Geheimnisse,

Geheimes Tor aller Mysterien.

 

 

Übersetzung : René Schurte