LAURENT METTRAUX

 

Route Principale 160, CH-1791 Courtaman (Schweiz)

Tél. + fax : (+41) 26/684.18.65, E-mail : laurent.mettraux(at)bluewin.ch

 

 

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INTERVIEW MIT

LAURENT METTRAUX

 

 

Luis Pablo schrieb über Sie, dass Sie ganz klar ihren eigenen Weg gehen, dass Ihre Liebe zu den grossen Phrasen, zur Rhetorik im vornehmsten Sinn des Wortes, dass die musikalische Linienführung Sie in einem gewissen "fortschrittlichen Romantizismus" zuordnen lasse, der sehr unabhängig sei vom allgemeinen Trend.

 

Ich würde gewisse Besonderheiten anfügen wie meine Suche nach einer verinnerlichten und meditativen Musik, als würde man in sich selbst einkehren, oder jene, welche darauf aus ist, gängige Akkorde in einem nicht tonalen Kontext zu verwenden oder diejenige, Kontraste durch einfachste Mittel zu erzeugen (was nicht heisst durch simpelste  Mittel!).

 

 

Ein anderer Aspekt Ihrer musikalischen Reflexion ist derjenige des Bezugs zur Zeit.

 

Durch ein sehr langsames Tempo, den häufigen Gebrauch von Bindungen, welcher erlaubt, die strenge Metrik zu verlassen, wird  ein Raum ausserhalb der Zeit entworfen, scheinbar ein statischer, aber, wie in der Natur, einer in dem das Leben brodelt. Indem man dies wiederholt und herausschält bis zum Wesentlichen, aber immer mit genügend Ereignissen, um die Aufmerksamkeit wach zu halten (aber nicht mit zu vielen Ereignissen, damit diese nicht durch Überfluss entwertet werden) und indem man die langsamen, progressiven Wechsel bevorzugt, weckt man das Hören und lässt man das Ohr sich öffnen für die klanglichen Verhältnisse, welche die Langsamkeit des Tempos zur Wiederentdeckung freigibt.

 

Dieser Aspekt ausserhalb der Zeit oder besser diesseits der Zeit ist einer meiner Hauptinteressen in der Komposition, diese rhythmische Recherche, welche natürlich den Erfordernissen der Melodie unterstellt ist oder denjenigen der harmonischen Wechsel, damit das Ganze vereinheitlicht werde (ausser bei einem gewollten Diskrepanz).

 

Sich der endlichen und bestimmten Zeit zu entledigen, erlaubt eine grosse Lockerheit in der musikalischen Geste, unendliche Nuancen im kompositorischen Diskurs. Diese Lockerheit stellt sich ebenfalls ein, wenn man, sich der Zeit und den Begriffen, die, zumindest im Westen, an diese geknüpft sind, entledigend, zur fundamentalen Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vordringt. Deshalb stört es mich nicht, musikalische Gesten wieder zu beleben, welche ihren Ursprung in vorangehenden Jahrhunderten haben. Es gibt keine Bindung, weder an die Vergangenheit noch an die Gegenwart noch an die Zukunft, ebensowenig gibt es eine Referenz im Sinn der "Traditionalisten" oder der "Neuerer" (welche, um "Neuerer" zu sein, sich nicht weniger auf eine Vergangenheit beziehen müssen). Im Übrigen ist für mich jedes Werk (und stamme es selbst aus dem Mittelalter) zeitgenössisch, aus dem einfachen Grund, weil es jetzt gerade gespielt wird, also lebendig ist.

 

 

Gibt es innerhalb dieser immensen musikalischen Literatur Komponisten, die Sie speziell beeinflusst haben?

 

Alles in allem alle mehr oder weniger bedeutenden Komponisten, vom Mittelalter bis in unsere Zeit, genauso wie die Musikstile anderer Traditionen (China, Japan, Indien, Irak...). Mich inspiriert ein ausserordentlich ausgedehntes Klangbad, auch wenn man gewisse Affinitäten beim ersten Anhören leichter erkennen kann.

 

 

Es gibt auch eine Affinität zu Aussenseitern in der Komponistenszene.

 

Nebst den meist zitierten Namen in der Musikgeschichte gibt es auch eine Menge Komponisten – einige von ihnen sind ausserordentlich interessant – die in den Untergrund verdrängt wurden, sei es durch einen eingeschränkten Blickwinkel der Musikgeschichte, sei es, dass diese nicht im Schiff der herrschenden musikalischen Idelogien mitsegelten. Ich denke da zum Beispiel an Ohana oder an Scelsi, die langezeit unterschätzt wurden und die man heute langsam wiederentdeckt.

 

 

Was meinen sie mit "eingeschränktem Blickwinkel der Musikgeschichte?"

 

Das ist der Standpunkt einer gewissen historisierenden Schule, die ihren Ausgangspunkt bei Hegel hat und die an einen immerwährenden Fortschritt glaubt. Da gibt es aber zahlreiche Widersprüche: schon in der Tatsache, dass viele nur an einen technischen Fortschritt denken ohne zu berücksichtigen, dass das Wesentliche der Musik im Geist liegt, welcher ihr zugrunde liegt. Oft wird das Beispiel der Ars Nova zitiert, welche die Ars Antiqua weitergeführt habe. Jedoch: nach der Ars Nova und der Ars Subtilior tauchte die Musik von Dunstable am Horizont  auf. Überdies wird man in expressiver Hinsicht nicht behaupten können, dass die Ausdrucksmittel der Musik des 17. Jahrunderts  von der Musik unserer Zeit überflügelt worden wären. Überdies öffnet uns das Interesse für andere Musiktraditionen, die genauso reich sein können wie die abendländische Tradition, die Augen für die Tatsache, dass das Verhältnis zur Zeit und zur Geschichte auf mannigfaltige Weise erlebt werden kann. Ein gewisser arroganter "Eurozentrismus", welcher die anderen Kulturen verunglimpft, ebenso wie die Verachtung , der gewisse Komponisten ausgesetzt sind, die als nicht genügend "modern eingestellt" oder als nicht genügend "traditionsbezogen" eingestuft wurden oder immer noch werden, scheinen mir  Ausdruck subjektiver Meinungen zu sein, die sich keine Rechenschaft geben über den wahren Wert gewisser Werke und Traditionen.

 

 

Ist es nicht schwierig, eine wirkliche Komponistenpersönlicheit zu erkennen, wenn man so viele verschiedene musikalische Beiträge "verdauen" muss?

 

Man muss ganz klar eine starke künstlerische Persönlichkeit sein,  um alle Materialien als Elemente im Dienst der musikalischen Inspiration  und nicht einfach als Schreib-Schrulle zu verwenden, als Bequemlichkeiten, welche Mängel an musikalischer Imagination ersetzen.

 

Was in der aktuellen Periode interessant ist: Im Laufe des 20.Jahrhunderts sind ungeheuer viele neue Terrains urbar gemacht worden (und darüber hinaus bietet uns die Diskographie immense Gebiete der Musik, die vernachlässigt worden waren); andererseits befinden wir uns in einer Übergangsperiode, in welcher,  nach einer akademischen Traditionalistenperiode (die nichts "Modernes" hören wollte), der neue Akademismus einer avantgardistischen Randgruppe (der keinen Gebrauch von Materialien duldete, welche als "überholt" beurteilt wurden) nun bereit ist, vernünftigere und weniger totalitäre Gesichtspunkte gelten zu lassen.  

 

 

Was haben Sie für eine Einstellung zu den beiden von Ihnen erwähnten Akademismen?

 

Ich bin mit jenen einverstanden, die sagen, dass ein Akademismus gegen den andern austauschbar ist. Was mich betrifft, so mache ich keinen Unterschied zwischen den benutzen Materialien, vorausgesetzt, dass sie ihren Platz haben im komponierten Werk; ich fühle mich von keinem Akademismus angezogen und von keinem "Zurück zu" der jungen oder alten Nostalgiker. Ein aufrichtiger Künstler kann ausserordentlich radikal sein in seinen Positionen, aber er wird niemals akademisch sein können.

 

 

Die Tatsache, dass alles möglich ist, zieht auch und vor allem die Wichtigkeit der Wahl nach sich, und also auch die des Verzichts.

 

Die Musik selbst kann ihre Wahl diktieren, und es ist vorgekommen, dass ich auf einen Satz, den ich anfänglich geplant hatte, verzichtete, weil es  mir an dem Punkt, wo das Werk angekommen war, ausgeschlossen schien, noch irgend etwas hinzuzufügen. Es gibt einen grossen Anteil des Unbewussten in der musikalischen Komposition, und man fühlt oft, mehr als dass man es erklären könnte, was gerade das Zutreffendste ist, das in diesem oder jenem Stadium des Werkes geschrieben werden soll: der musikalische Verlauf kann sehr wechselhaft sein, aber es gibt immer so etwas wie einen Kompass, der mir anzeigt, in welche Richtung das Werk fortschreiten soll. Es passiert mir ebenfalls oft, dass ich mit den ersten Takten eines Werkes anfange und es dann einige Tage oder Wochen liegen lasse; und wenn ich es dann wieder aufnehme, kann sich die Komposition relativ schneller entfalten dank der Arbeit des Unbewussten.

 

 

Der Begriff des Vergnügens ist von einem Teil der zeitgenössischen Musikszene oft aus der Diskussion verbannt worden, als handelte es sich um eine Konzession ans Publikum.

 

Die Werke, mit Ausnahme derer, die man für sich selber schreibt, sind dazu bestimmt, von einer Hörerschaft aufgenommen zu werden. Darin besteht die grosse Verantwortung des Komponisten: wenn die andern ihre Zeit opfern, muss im Gegenzug die Komposition ihnen etwas vermitteln. Wenn es sich nur um Vergnügen im oberflächlichsten Sinn des Wortes handelt, wird der Austausch arm und unbedeutend sein, was nicht der Fall sein wird, wenn dieses Vergnügen das Resultat von etwas Tieferem ist. Man darf also nicht nur auf das einfache Pläsier des Hörers abzielen.

 

 

Kann man nach Ihrer Meinung konkret definieren, was die Musik dem Hörer vermitteln müsste oder könnte?

 

Im besten Fall spürt der Hörer durch die Wirkung der Musik eine Aufhebung dessen, was dessen Sein eingekerkert hält, und er steht wieder sich selber gegenüber, da seine negativen Spannungen plötzlich gelöst und beruhigt sind. Bevor man an diesen Punkt gelangt, ist natürlich ein ganzer persönlicher Weg zurückzulegen, welcher ebenso von den Blockaden des Hörers abhängt wie von der Macht der gehörten Musik, die Kräfte seines Unterbewusstseins zu durchdringen.

 

 

Kann die Musik auf diese Weise Seelentherapie sein?

 

Auch Körpertherapie, denn ein guter Teil der Krankheiten sind Ausdruck einer psychosomatischen Unordnung. Die Fluchtmusiken (sirupartige Melodien, demagogische Harmonien, primitives rhythmisches Pulsieren, welches die Herzschläge der Mutter evoziert, wie sie ein Fötus wahrnimmt) erlauben es dem Hörer nicht, innerlich zu wachsen. Umgekehrt ist eine Musik, die eine Vehemenz der Oberfläche aufweist oder die nur unmotivierte Gewalt ausdrückt, kaum eine Vermittlerin von Sinn, sie ist nur ein leeres Getrampel. Sie bringt den Hörer eher aus dem Gleichgewicht als dass sie ihn zur Tiefe des Seins hinführt. Um zu den tieferen Schichten der Seele und des menschlichen Geistes zu gelangen, muss in der Komposition jede Note oder musikalische Geste ein Sinnträger sein, der vom Komponisten intensiv erlebt wird, damit sie auf diese Weise wirklich "vom Herzen zum Herzen geht." Man soll deshalb nichts schreiben, das nicht aus einer inneren Notwendigkeit heraus kommt, ohne welche das Werk leer bleibt.

 

 

Haben Sie persönlich den Hörer im Auge, wenn Sie komponieren?

 

An mehrere oder auch nur an einen Hörer zu denken, kann eine Quelle der Blockierung sein. Wenn der Komponist etwas Tiefes und Ausgewogenes zu vermitteln hat, wird seine Musik dieses auf jeden Fall widerspiegeln. (ausser bei technischer Unfähigkeit natürlich). Zusätzlich beim Komponieren Absichten hinzuzufügen ist eher ein Hindernis als eine Hilfe.

 

Erst nach dem Kompositionsakt, bei der Aufführung, nimmt man die Reaktionen des Publikums wahr. Vorher ist es nicht nötig, sich speziell damit zu befassen. Da kann es dann interessante Überraschungen geben: zum Beispiel jene japanische Interpretin, die Parallelen gefunden hatte zwischen einem meiner Werke und der Musik des Nô-Theaters, ohne dass ich mir beim Komponieren dessen bewusst gewesen wäre. Beim Anhören eines Werkes wird sich der Hörer, je nach seiner Kultur oder seinen Vorlieben, angesprochen fühlen durch diesen oder jenen Aspekt, das heisst, er klammert sich an diesen oder jenen Bezug, den er wahrnimmt oder wahrzunehmen glaubt. Das gehört zum eigentlichen Reichtum eines Werkes, nämlich dass es fähig ist, den verschiedensten Persönlichkeiten etwas zu bieten. Auf diese Weise habe ich auch bemerkt, dass meine Musik in Argentinien genauso geschätzt wurde wie zum Beispiel in Russland, Indien oder in Kanada.

 

 

Was den beeindruckenden Katalog Ihres Werkes anbelangt: auf was bezieht sich dessen Numerierung?

 

Sie werden bemerkt haben, dass sich die 450 ersten Nummern nicht im Katalog meiner greifbaren Werke befinden: das sind Jugendwerke, die ich zwischen meinem zwölften und neunzehnten Altersjahr schrieb. Diese Numerierung entspricht also einem chronologisch aufgebauten Katalog, der auch die unvollendeten Werke enthält. Konkret gesagt: ich schreibe durchschnittlich etwa fünfzehn Werke von unterschiedlichem Aufbau und verschiedener Länge pro Jahr.

 

 

Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, dass Sie zu gewissen Instrumenten eine ganz besondere Affinität haben.

 

Um es gleich klarzustellen: alle Instrumente interessieren mich, darunter auch die weniger gebräuchlichen (auch die Instrumente der Renaissance und des Barock, ebensosehr die aussereuropäischen Instrumente), aber ihre Benutzung hängt ab von den Aufträgen, die ich bekomme. Es kommt in der Tat oft vor, dass ein Interpret, der bei mir ein Werk bestellt hat, mit diesem so zufrieden ist, dass er bald darauf eine neue Komposition bestellt. Das ist der Grund, warum gewisse Instrumente momentan in meinem Katalog bevorzugt vertreten sind. Das führt auch dazu, dass wenn ich für ein bestimmtes Instrument schreibe, ich von diesem (fast) alle Möglichkeiten  einschliesslich der zeitgenössischen Techniken kenne. Das heisst allerdings nicht, dass ich beim Komponieren wie ein Student alles hervorhole, was ich gelernt habe: es sind Möglichkeiten, aus denen ich schöpfe nach Massgabe dessen, was die Musik erfordert.

 

 

Welches sind die Formationen, in denen Sie sich am liebsten ausdrücken?

 

Eigentlich fühle ich mich in allen vokalen und instrumentalen Formationen wohl. Aber es ist schon so, dass ich eine gewisse Vorliebe fürs Orchester habe, besonders für das Concerto, und für Werke mit Stimme und Orchester (szenisch oder nicht).

 

 

Interview mit Laurent Mettraux, geführt von Philippe Schilder (Lausanne) im Januar 2001

Deutsche Übersetzung: Erwin Messmer